Faszinierend ist das Buch, weil Kimmerer mithilfe ihres Wissens und ihrer Erfahrungen versucht, die grundlegende Frage zu beantworten, wie wir Menschen so konsumieren können, „dass wir dem Leben, das wir nehmen, gerecht werden“.
Sie stellt dem Leser dazu den spirituellen Weg ihrer Vorfahren vor und versucht dem Leser zu verdeutlichen, was es bedeuten könnte, wenn „Mensch und Land füreinander gute Medizin“ wären. Besonders stark sind die Passagen des Buches, in denen sie aufzeigt, wie das traditionelle Wissen in die heutige ökologische Forschung eingebunden werden kann.
Mithilfe der Geschichten ihrer Ahnen führt sie den Leser in die tiefe spirituelle Weltsicht ihres Stammes ein, die weit über eine Kultur der Dankbarkeit hinausgeht: Nicht „Was können wir nehmen?“, sondern „Was können wir Mutter Erde geben?“ müsse der Impetus menschlichen Handelns werden. Sie entwirft eine Vision, mit der ein verändertes Bewusstsein für die Gaben der Erde zu einer „Gemeinwohl-Ökonomie“ führte. Alle grundlegenden Ressourcen würden dann allen, auch den „mehr-als-menschlichen Wesen“ gehören und „keine Ware“ sein.
Herausfordernd ist das Werk, weil Kimmerer das Verweben der drei Erzählebenen nicht immer ohne Brüche gelingt. So folge ich als Leser begeistert dem Erzählstrang über die spirituelle Welt ihrer Ahnen, und finde mich dann unvermittelt in ihrem Alltag wieder; ungeachtet dessen versucht sie ihr grundlegendes Verständnis von Welt und Natur im Alltag zu leben - das beeindruckt mich und fordert mich heraus.
Leider konnte ich das Buch nicht am Stück durchlesen, weil es nicht linear erzählt ist. Seltsamerweise konnte ich es aber auch nicht zurück ins Regal stellen, zu wichtig das Thema, zu wesentlich die Botschaft. Es hat mich einfach nicht in Ruhe gelassen.
In ihren Texten ist Kimmerers Trauer eingewoben, die berührt, zuweilen aber auch irritiert. Sie reflektiert den (inneren) Bruch „der Verbindung zwischen Land und Menschen, zwischen Vergangenheit und Gegenwart“, der in den Familien der indigenen Völker Nordamerikas bis heute nicht verheilt ist.
Wie man dieses Buch im Religionsunterricht nutzen kann?
- Leicht lassen sich den fachliche Bezüge zu den Themen „Bewahrung der Schöpfung“ (Sek. I) und „Laudato si‘“ (Sek. II) herstellen. Einige Auszüge könnten sicher Gewinn bringend in eine Gestaltungsaufgabe einfließen.
- Weitere Bezüge bieten sich zum Thema „Teilen - Solidarität“ an, man könnte beispielsweise das Kapitel „Der Rat der Pekannussbäume“ als spirituelle Fabel vom wechselseitigen Geben und Nehmen lesen.
Fazit: „Geflochtenes Süßgras“ lässt den Leser teilhaben an der spirituellen Sicht der indigenen Völker Nordamerikas. Es regt an, über Begriffe wie Fülle, Mangel, Reichtum, Dankbarkeit, Leichtigkeit, Besitz, Mitgefühl, Geschenk neu nachzudenken und fordert so zu einem neuen, tieferen „Bewusstsein für die Gaben der Natur“ auf.
Die Lektüre kann ein weiterer inspirierender Schritt sein, Verantwortung für die Schöpfung zu übernehmen, indem wir uns mit dem, was wir geschenkt bekommen haben, einbringen in die Erneuerung der Welt.
Maria Scheffer
Robin Wall Kimmerer:
Geflochtenes Süßgras
Die Weisheit der Pflanzen
Berlin 2021 (Aufbau), 461 Seiten, 978-3-351-03873-1
als Hörbuch gesprochen von Eva Mattes
München 2021 (Bonnevoice) 2021, ISBN 978-3-945095-35-5